Review and Herald d. 8. November 1898

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Die Offenbarung Gottes

Die Offenbarung Gottes

„Denn Gott, der sprach: Licht soll aus der Finsternis hervorleuchten, der hat einen hellen Schein in unsre Herzen gegeben, daß durch uns entstünde die Erleuchtung zur Erkenntnis der Herrlichkeit Gottes in dem Angesicht Jesu Christi.“ 2.Korinther 4,6.

Vor dem Sündenfall verdunkelte nichts die klare Erkenntnis des ersten Menschenpaares über den Charakter Gottes. Es stimmte mit dem Willen Gottes völlig überein. Beide umhüllte das herrliche Licht Gottes. Der Herr suchte sie auf und unterwies sie anhand seiner Schöpfung. Die Natur war ihr Lehrbuch. Die sie im Garten Eden umgebende Natur wies sie auf die Existenz Gottes hin. Jeder Baum des Gartens redete zu ihnen. Gottes unsichtbares Wesen, seine ewige Kraft und Gottheit wurden durch seine Schöpfung klar erkannt.

Obwohl es zutrifft, daß Gott auf diese Weise in der Natur erkannt werden konnte, stimmt jedoch die Behauptung nicht, Adam und seine Nachkommen hätten auch nach dem Sündenfall eine volle Gotteserkenntnis durch die Natur erlangen können. Im Zustand seiner Unschuld konnte die Natur dem Menschen Erkenntnisse vermitteln, aber die Sünde brachte einen Fluch über die Natur und stellte sich zwischen die Natur und Gott. Wären Adam und Eva ihrem Schöpfer nie ungehorsam gewesen, wären sie auf dem geraden Weg geblieben, hätten sie Gott erkennen und verstehen können. Als sie jedoch der Stimme des Versuchers Gehör schenkten und gegen Gott sündigten, wich das Lichtgewand himmlischer Unschuld von ihnen. Indem sie ihr Unschuldsgewand verloren, umgaben sie sich mit dem dunklen Gewand der Unwissenheit über Gott. Das klare, 307vollkommene Licht, das sie bis dahin umgeben hatte, hatte alles, dem sie sich nahten, erleuchtet. Diesen himmlischen Lichtes jedoch beraubt, konnten die Nachkommen Adams den Charakter Gottes in den Werken seiner Schöpfung nicht länger erkennen.

Die Natur, die wir heute betrachten, vermittelt uns nur eine vage Vorstellung von Edens Schönheit und Herrlichkeit, dennoch verkündet sie mit unmißverständlicher Stimme die Herrlichkeit Gottes. Obwohl die Erscheinungsformen der Natur durch den schädlichen Einfluß der Sünde entstellt sind, ist dennoch viel Schönes erhalten geblieben. Gott, allmächtig, groß an Güte, an Gnade und Liebe, hat die Erde erschaffen, und sogar noch in ihrem gefallenen Zustand vermittelt sie Wahrheiten hinsichtlich ihres genialen Meisters. In diesem Buch der Natur, das sich uns in den schönen duftenden Blumen mit ihren mannigfaltigen und zarten Farben öffnet, offenbart Gott uns einen unmißverständlichen Ausdruck seiner Liebe. Nach dem Fall Adams hätte Gott jede sich öffnende Knospe und jede blühende Blume vernichten oder ihnen den Duft, der auf unsere Sinne so wohltuend wirkt, nehmen können. An der durch den Fluch verderbten Erde, an den Dornen, den Disteln, den Stacheln und dem Unkraut können wir das Gesetz der Verlorenheit ablesen. Doch an den zarten Farben und Düften der Blumen können wir erkennen, daß Gott uns noch immer liebt, daß seine Gnade der Erde nicht völlig entzogen worden ist.

Die Natur ist erfüllt von geistlichen Lehren für uns Menschen. Die Blumen sterben nur, um zu neuem Leben zu erwachen. Dies enthält für uns eine Lehre über die Auferstehung. Allen, die Gott lieben, wird er im himmlischen Eden ein neues Leben schenken. Die Natur allein kann uns jedoch nicht die große und wunderbare Liebe Gottes vermitteln. Daher war die Natur nach dem Sündenfall nicht der einzige Lehrmeister der Menschen. Damit die Welt nicht in Finsternis, in ewiger geistlicher Nacht verbliebe, begegnete uns der Gott der Natur in Jesus Christus. Der Sohn Gottes kam als Offenbarung des Vaters in die Welt. Er war das „wahre Licht, das alle Menschen erleuchtet, die in diese Welt kommen“. Johannes 1,9. In uns soll entstehen „die Erleuchtung zur Erkenntnis der Herrlichkeit Gottes in dem Angesicht Jesu Christi“. 2.Korinther 4,6.

In der Person seines eingeborenen Sohnes hat sich der Gott des Himmels auf die Stufe der menschlichen Natur herabgelassen. Auf die Frage des Thomas sagte Jesus: „Ich bin der Weg und die Wahrheit und das Leben; niemand kommt zum Vater denn durch mich. Wenn ihr mich erkannt habt, so werdet ihr auch meinen Vater erkennen. Und von nun an kennt ihr ihn und habt ihn gesehen. Spricht zu ihm Philippus: Herr, zeige uns den Vater, und es genügt uns. Jesus spricht zu ihm: So lange bin ich bei euch, und du kennst mich nicht, Philippus? Wer mich sieht, der sieht den Vater! Wie sprichst du dann: Zeige uns den Vater? Glaubst du nicht, daß ich im Vater bin und der Vater in mir? Die Worte, die ich zu euch rede, die rede ich nicht von mir selbst aus. Und der Vater, der in mir wohnt, der tut seine Werke. Glaubt mir, daß ich im Vater bin und der Vater in mir; wenn nicht, so glaubt mir doch um der Werke willen.“ Johannes 14,6-11.

Die schwierigste und demütigendste Lektion, die wir Menschen lernen müssen, besteht darin, daß es fruchtlos ist, sich auf menschliche Weisheit zu verlassen, und daß die eigenen Bemühungen, die Natur richtig zu deuten, mit Sicherheit scheitern werden. Die Sünde hat das Sehvermögen des Menschen verdunkelt, und aus sich heraus ist er nicht imstande, die Natur zu verstehen, ohne sie über Gott zu erheben. Er kann in ihr weder Gott erkennen noch Jesus Christus, den er gesandt hat. Er ist in der gleichen Lage wie die Athener, die ihre Altäre zur Verehrung der Natur errichteten. Mitten auf dem Areopag stehend, verkündete Paulus den Athenern die Majestät des lebendigen Gottes als Gegensatz zu ihrem Götzendienst.

Er sagte: „Ihr Männer von Athen, ich sehe, daß ihr die Götter in allen Stücken sehr verehrt. Ich bin umhergegangen und habe eure Heiligtümer angesehen und fand einen Altar, auf dem stand geschrieben: Dem unbekannten Gott. Nun verkündige ich euch, was ihr unwissend verehrt. Gott, der die Welt gemacht hat und alles, was darin ist, er, der Herr des Himmels und der Erde, wohnt nicht in Tempeln, die mit Händen gemacht sind. Auch läßt er sich nicht von Menschenhänden dienen wie einer, der etwas nötig hätte, da er doch selber jedermann Leben und Odem und alles gibt. Und er hat aus einem Menschen das ganze Menschengeschlecht gemacht, damit sie auf dem ganzen Erdboden wohnen, und er hat festgesetzt, wie 309lange sie bestehen und in welchen Grenzen sie wohnen sollen, damit sie Gott suchen sollen, ob sie ihn wohl fühlen und finden könnten; und fürwahr, er ist nicht ferne von einem jeden unter uns. Denn in ihm leben, weben und sind wir; wie auch einige Dichter bei euch gesagt haben: Wir sind seines Geschlechts. Da wir nun göttlichen Geschlechts sind, sollen wir nicht meinen, die Gottheit sei gleich den goldenen, silbernen und steinernen Bildern, durch menschliche Kunst und Gedanken gemacht.“ Apostelgeschichte 17,22-29.

Wer eine wahre Erkenntnis Gottes besitzt, wird durch die Gesetze der Materie oder die Vorgänge in der Natur nicht so verblendet, daß er das fortdauernde Wirken Gottes in der Natur übersieht oder sich weigert, es anzuerkennen. Die Natur ist nicht Gott, noch ist sie je Gott gewesen. Die Stimme der Natur zeugt von Gott, aber die Natur ist nicht Gott. Als von Gott geschaffenes Werk legt sie von seiner Macht nur Zeugnis ab. Die Gottheit ist der Schöpfer der Natur. Die natürliche Welt besitzt aus sich heraus keine Kraft, außer der, die Gott ihr verleiht. Es gibt einen persönlichen Gott, den Vater, es gibt einen persönlichen Christus, den Sohn. „Nachdem Gott vorzeiten vielfach und auf vielerlei Weise geredet hat zu den Vätern durch die Propheten, hat er in diesen letzten Tagen zu uns geredet durch den Sohn, den er eingesetzt hat zum Erben über alles, durch den er auch die Welt gemacht hat. Er ist der Abglanz seiner Herrlichkeit und das Ebenbild seines Wesens und trägt alle Dinge mit seinem kräftigen Wort und hat vollbracht die Reinigung von den Sünden und hat sich gesetzt zur Rechten der Majestät in der Höhe.“ Hebräer 1,1-3.

Der Psalmist sagt: „Die Himmel erzählen die Ehre Gottes, und die Feste verkündigt seiner Hände Werk. Ein Tag sagt‘s dem andern, und eine Nacht tut‘s kund der andern, ohne Sprache und ohne Worte, unhörbar ist ihre Stimme.“ Psalm 19,2-4. Einige mögen annehmen, daß diese gewaltigen Erscheinungen in der Natur Gott sind. Sie sind es nicht. Alle diese Wunder am Himmel verrichten nur das ihnen aufgetragene Werk. Sie sind Werkzeuge des Herrn. Gott ist nicht nur der Schöpfer aller Dinge, sondern er ist auch der Erhalter seiner Schöpfung. Dieselbe 310Hand, die die Berge im Gleichgewicht hält, lenkt die Welten in ihrem geheimnisvollen Lauf um die Sonne.

Es gibt kaum einen Vorgang in der Natur, für den wir im Wort Gottes nicht einen Hinweis finden könnten. In der Bibel heißt es: „Er läßt seine Sonne aufgehen“ und „läßt regnen“. Matthäus 5,45. Er ist der, „der Gras auf den Bergen wachsen läßt.“ „Er gibt Schnee wie Wolle, er streut Reif wie Asche. Er wirft seine Schloßen herab wie Brocken ... Er sendet sein Wort, da schmilzt der Schnee; er läßt seinen Wind wehen, da taut es“. Psalm 147,8.16-18. „... der die Blitze samt dem Regen macht, der den Wind herausführt aus seinen Kammern.“ Psalm 135,7.

Diese Worte der Heiligen Schrift sagen nichts von unabhängigen Naturgesetzen. Gott stellt die Materie mit ihren charakteristischen Eigenschaften bereit, um seine Pläne auszuführen. Er setzt seine Mittel ein, damit die Pflanzenwelt gedeihen kann. Er sendet Tau, Regen und auch den Sonnenschein, damit das frische Grün hervorsprießen und seinen Teppich über die Erde ausbreiten kann, damit die Sträucher und Obstbäume knospen, blühen und Früchte tragen können. Man darf nicht annehmen, daß ein Gesetz in Kraft gesetzt worden ist, so daß die Saat von allein aufgeht und das Blatt erscheint, weil es das von sich aus tun muß. Gott hat in der Tat Gesetze eingesetzt, aber sie sind nur die Diener, durch die er seine Pläne ausführt. Durch das unmittelbare Handeln Gottes durchbricht jedes winzige Samenkorn die Erde und erwacht zum Leben. Durch die Kraft Gottes wächst jedes Blatt und blüht jede Blume.

Der Organismus des Menschen steht unter der Aufsicht Gottes; aber nicht wie bei einer Uhr, die in Gang gesetzt wird und dann von allein weitergehen muß. Das Herz schlägt, Pulsschlag folgt auf Pulsschlag, ein Atemzug folgt dem andern, aber der ganze Mensch steht unter der Oberaufsicht Gottes. „Ihr seid Gottes Ackerfeld und Gottes Bau.“ 1.Korinther 3,9. In Gott leben, weben und sind wir. Jeder Herzschlag, jeder Atemzug geschieht durch das Wirken dessen, der Adam den Lebensodem in die Nase blies — das Wirken des allgegenwärtigen Gottes, des großen ICH BIN.

Die Philosophen der Antike brüsteten sich mit ihrer überlegenen Erkenntnis. Wir wollen lesen, wie der inspirierte Apostel 311dies beurteilte: „Da sie sich für Weise hielten, sind sie zu Narren geworden und haben die Herrlichkeit des unvergänglichen Gottes vertauscht mit einem Bild gleich dem eines vergänglichen Menschen und der Vögel und der vierfüßigen und der kriechenden Tiere ... sie, die Gottes Wahrheit in Lüge verkehrt und das Geschöpf verehrt und ihm gedient haben statt dem Schöpfer.“ Römer 1,22-25. In ihrer menschlichen Weisheit kann die Welt Gott nicht erkennen. Ihre Weisen gewinnen aufgrund der geschaffenen Dinge eine nur unvollkommene Gotteserkenntnis und erheben dann in ihrer Torheit die Natur und ihre Gesetze über den Gott, der die Natur geschaffen hat. Alle, deren Gotteserkenntnis nicht auf einer Offenbarung in Christus beruht, werden ihn in der Natur nur unvollkommen erkennen. Diese Erkenntnis, die niemals eine erhabene Gottesvorstellung vermitteln und die Menschen ganz in Übereinstimmung mit seinem Willen bringen kann, macht sie zu Götzendienern. Indem sie vorgeben, weise zu sein, werden sie zu Narren.

Wer meint, Gott erkennen zu können unabhängig von seinem Stellvertreter, den die Schrift als „das Ebenbild seines Wesens“ (Hebräer 1,3) bezeichnet, muß seine eigene Torheit eingestehen, ehe er weise werden kann. Es ist unmöglich, durch die Natur allein eine vollkommene Gotteserkenntnis zu erlangen; denn die Natur selbst ist unvollkommen. In ihrer Unvollkommenheit kann sie Gott nicht darstellen, sie kann den Charakter Gottes in seiner sittlichen Vollkommenheit nicht offenbaren. Christus kam jedoch als ein persönlicher Heiland in die Welt. Er vertrat einen persönlichen Gott. Als ein persönlicher Heiland fuhr er auf gen Himmel, und er wird wiederkommen, wie er aufgefahren ist als Heiland in persönlicher Gestalt. Er ist das Ebenbild des Vaters. „Denn in ihm wohnt die ganze Fülle der Gottheit leibhaftig.“ Kolosser 2,9.

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