Zeichen der Zeit (The Signs of Times) d. 15. April 1886

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Das Wesen des Gesetzes Gottes

Das Wesen des Gesetzes Gottes

David sagt: „Das Gesetz des Herrn ist vollkommen.“ Psalm 9,8. „Längst weiß ich aus deinen Mahnungen, daß du sie für ewig gegründet hast.“ Psalm 119,152. Und Paulus bezeugt: „So ist also das Gesetz heilig, und das Gebot ist heilig, gerecht und gut.“ Römer 7,12.

Als oberster Herrscher des Universums hat Gott Gesetze erlassen, denen nicht nur alle lebenden Wesen unterliegen, sondern auch alle Vorgänge in der Natur. Alles, ob groß oder klein, lebendig oder nicht lebendig, unterliegt festen Gesetzen, die nicht mißachtet werden können. Für diese Regel gibt es keine Ausnahmen, denn nichts, was von göttlicher Hand geschaffen wurde, wurde vom göttlichen Verstand vergessen. Während jedoch die gesamte Natur dem natürlichen Gesetz unterliegt, ist allein der Mensch, als ein intelligentes Wesen, dem moralischen Gesetz verantwortlich, denn nur er versteht dessen Forderungen. Allein dem Menschen, der Krone seiner Schöpfung, hat Gott das Bewußtsein geschenkt, die heiligen Forderungen des göttlichen Gesetzes zu erkennen, und ein Herz, das in der Lage ist, dieses Gesetz als heilig, gerecht und gut zu lieben. Und vom Menschen wird bereitwilliger und völliger Gehorsam erwartet. Gott zwingt ihn jedoch nicht zu gehorchen; er läßt dem Menschen moralische Entscheidungsfreiheit.

Das Thema der persönlichen Verantwortung des Menschen wird nur von wenigen verstanden, und doch ist es eine Sache von größter Bedeutung. Jeder von uns kann gehorchen und leben oder aber gegen Gottes Gesetz verstoßen, seine Autorität anzweifeln und die entsprechende Strafe erhalten. Denn 229jeder Mensch wird mit aller Macht vor die Frage gestellt: Soll ich der Stimme des Himmels, den zehn Worten, die vom Sinai ertönten, gehorchen, oder soll ich mich der Masse anschließen, die dieses feurige Gesetz mit Füßen tritt? Für jene, die Gott lieben, wird es die größte Freude sein, seine Gebote zu halten und jene Dinge zu tun, die seinen Augen wohlgefallen. Von Natur aus haßt das Herz jedoch das Gesetz Gottes und wütet gegen dessen heilige Forderungen. Menschen verschließen ihre Seelen vor dem göttlichen Licht und weigern sich, darin zu wandeln, wenn es ihnen scheint. Sie opfern die Reinheit ihres Herzens, das Wohlwollen Gottes und ihre Hoffnung auf den Himmel für selbstsüchtigen Genuß oder weltlichen Gewinn.

Der Psalmchreiber bezeugt: „Das Gesetz des Herrn ist vollkommen.“ Psalm 19,8. Wie wunderbar ist das Gesetz Jehovas in seiner Einfachheit, seiner umfassenden Bedeutung und seiner Vollkommenheit! Es ist so kurz, daß wir mit Leichtigkeit jede Regel auswendig lernen können, und doch so weitreichend, daß es den gesamten Willen Gottes auszudrücken vermag, nicht nur hinsichtlich äußerlicher Handlungen, sondern auch im Blick auf die Gedanken und Absichten, die Wünsche und Gefühle des Herzens. Menschliche Gesetze vermögen dies nicht zu tun. Sie können sich nur mit äußerlichen Handlungen befassen. Ein Mensch mag ein Übertreter des Gesetzes sein, und doch kann er seine Missetaten vor menschlichen Augen verbergen; er mag ein Verbrecher sein — ein Dieb, ein Mörder, ein Ehebrecher —, doch so lange er unentdeckt bleibt, kann ihn das Gesetz nicht als schuldig verdammen. Gottes Gesetz bemerkt die Eifersucht, den Neid, die Gier und das Machtstreben, die die Seele bestürmen, jedoch noch nicht in äußeren Handlungen sichtbar wurden, weil zwar die Gelegenheit, nicht aber der Wille fehlte. Und für all diese sündigen Gefühle wird der Mensch einst Rechenschaft ablegen müssen, „denn Gott wird alle Werke vor Gericht bringen, alles, was verborgen ist, es sei gut oder böse“. Prediger 12,14.

Gottes Gesetz ist einfach und leicht zu verstehen. Es gibt Menschen, die sich zwar stolz damit brüsten, nur zu glauben, was sie verstehen, dabei aber vergessen, daß es im menschlichen 230Leben und in der Offenbarung von Gottes Allmacht in den Werken der Natur Geheimnisse gibt — Geheimnisse, die die tiefstgehende Philosophie, die weitestreichende wissenschaftliche Untersuchung nicht zu erklären vermag. Beim Gesetz Gottes gibt es jedoch keine Geheimnisse. Jeder kann die großen Wahrheiten verstehen, die es verkörpert. Der schwächste Verstand kann diese Regeln begreifen, der Unwissendste kann sein Leben danach ausrichten und seinen Charakter nach dem göttlichen Maßstab ausbilden. Wenn die Menschenkinder diesem Gesetz nach besten Kräften folgen würden, würden sie die Verstandesstärke und das Urteilsvermögen gewinnen, die Vorhaben und Pläne Gottes besser zu verstehen. Und dieser Fortschritt ginge nicht nur im gegenwärtigen Leben weiter, sondern auch bis in alle Ewigkeit; denn wie weit wir auch immer in unserem Wissen um die Weisheit und die Macht Gottes kommen, bleibt doch noch immer unendlich viel zu erfahren.

Das göttliche Gesetz fordert von uns, Gott am allermeisten zu lieben und unseren Nächsten wie uns selbst. Ohne diese Liebe ist das größte Glaubensbekenntnis nichts als Heuchelei. „‚Du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben von ganzem Herzen, von ganzer Seele und von ganzem Gemüt.‘ Dies ist das höchste und größte Gebot. Das andere aber ist dem gleich: ‚Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst.‘ In diesen beiden Geboten hängt das ganze Gesetz und die Propheten.“ Matthäus 22,37-40.

Das Gesetz fordert völligen Gehorsam: „Denn wenn jemand das ganze Gesetz hält und sündigt gegen ein einziges Gebot, der ist am ganzen Gesetz schuldig.“ Jakobus 2,10. Nicht eine einzige jener zehn Regeln kann gebrochen werden, ohne damit dem Gott des Himmels untreu zu werden. Die kleinste Abweichung von dessen Forderungen, sei es fahrlässige oder willentliche Übertretung, ist Sünde, und jede Sünde setzt den Sünder dem Zorn Gottes aus. Gehorsam war die einzige Bedingung, an welche die Erfüllung der Versprechen für das alte Israel gebunden war und die es zu Gottes auserwähltem Volk machte; und Gehorsam dem Gesetz gegenüber wird heute einzelnen Menschen und ganzen Nationen ebenso große Segnungen bringen, wie sie damals die Hebräer erhalten hätten.

Gehorsam dem Gesetz gegenüber ist lebenswichtig, nicht nur für unsere Errettung, sondern auch für unser eigenes Glück und das all derer, mit denen wir verbunden sind. „Großen Frieden haben, die dein Gesetz lieben; sie werden nicht straucheln“ (Psalm 119,165), sagt das inspirierte Wort. Der Mensch in seinem begrenzten Wesen dagegen wird dieses heilige, gerechte und gute Gesetz, das Gesetz der Freiheit, das der Schöpfer selbst zum Besten der Menschen eingesetzt hat, als Joch der Knechtschaft darstellen, als Joch, das kein Mensch tragen kann. Es ist jedoch der Sünder, der dieses Gesetz als drückendes Joch ansieht; es ist der Gesetzesübertreter, der in dessen Anweisungen keine Schönheit entdecken kann. Denn das fleischliche Denken ist „dem Gesetz Gottes nicht untertan ...; denn es vermag‘s auch nicht“. Römer 8,7.

„Durch das Gesetz kommt Erkenntnis der Sünde.“ Römer 3,20.Durch das Gesetz werden Menschen von ihren Sünden überzeugt; und sie müssen sich selbst als Sünder empfinden, die dem Zorn Gottes ausgesetzt sind, bevor sie erkennen können, daß sie einen Erlöser brauchen. Satan ist ständig damit beschäftigt, das Empfinden der Menschen für den furchtbaren Charakter der Sünde zu schwächen. Und diejenigen, die das Gesetz Gottes mit Füßen treten, verrichten die Arbeit des großen Verführers; denn sie lehnen die einzige Richtschnur ab, durch die sie die Sünde erkennen und dem Gesetzesübertreter zum Bewußtsein bringen können.

Das Gesetz Gottes reicht bis zu jenen geheimen Absichten, die, obwohl sie sündig sein könnten, zwar auf die leichte Schulter genommen werden, in Wirklichkeit jedoch die Grundlage und den Prüfstein des Charakters darstellen. Das Gesetz ist der Spiegel, in den der Sünder schauen muß, wenn er ein wahrheitsgemäßes Bild seines moralischen Charakters erhalten möchte. Und wenn er sich durch diesen großen Maßstab der Gerechtigkeit verurteilt sieht, muß sein nächster Schritt darin bestehen, seine Sünden zu bereuen und von Christus Vergebung zu erbitten. Weil sie das versäumen, versuchen viele den Spiegel zu zerbrechen, der ihnen ihre Fehler offenbart, um auf diese Weise das Gesetz ungültig zu machen, das ihnen die Mängel in ihrem Leben und ihrem Charakter aufzeigt.

Wir leben in einem Zeitalter großer Gottlosigkeit. Eine 232Vielzahl von Menschen hängt sklavisch an bösen Gebräuchen und üblen Gewohnheiten, und die Fesseln, die sie binden, sind nur schwer zu zerbrechen. Unrecht überschwemmt die Erde wie eine Flut. Täglich ereignen sich unbeschreibliche Verbrechen, und dennoch werden Männer, die behaupten, Wächter auf den Mauern Zions zu sein, lehren, daß das Gesetz nur für die Juden gedacht war und mitsamt all den herrlichen Vorrechten, die das Zeitalter des Evangeliums ankündigten, vergangen ist. Besteht nicht eine Verbindung zwischen der vorherrschenden Gesetzlosigkeit und Kriminalität und der Tatsache, daß Verkündiger behaupten und lehren, daß das Gesetz keine verbindliche Gültigkeit mehr besitzt?

Die verurteilende Macht des Gesetzes Gottes bezieht sich nicht nur auf Dinge, die wir tun, sondern auch auf Dinge, die wir nicht tun. Wir können uns nicht damit rechtfertigen, daß wir, der Forderung Gottes entsprechend, gewisse Dinge meiden. Wir müssen nicht nur aufhören, Böses zu tun, sondern lernen, Gutes zu tun. Gott hat uns Fähigkeiten gegeben, die wir dazu nutzen sollten, gute Werke zu tun; und wenn wir diese Fähigkeiten nicht gebrauchen, werden wir ganz sicher als böse und faule Knechte betrachtet werden. Wir mögen keine schwerwiegenden Sünden begangen haben, solche Anklagen gegen uns mögen nicht in dem Buche Gottes verzeichnet sein, doch die Tatsache, daß unsere Taten nicht als rein, gut, würdig und edel aufgeführt sind — was zeigt, daß wir die uns geschenkten Talente nicht genutzt haben —, führt zu unserer Verurteilung.

Das Gesetz Gottes existierte bereits, bevor die Menschen erschaffen wurden. Es war für heilige Wesen gedacht, sogar Engel richteten sich danach. Nach dem Sündenfall blieben die Grundsätze der Gerechtigkeit unverändert. Vom Gesetz wurde nichts weggenommen, nicht eines der heiligen Gebote konnte verbessert werden. Und so wie es von Anfang an bestand, wird es weiterbestehen durch die endlosen Zeitalter der Ewigkeit. „Längst weiß ich aus deinen Mahnungen, daß du sie für ewig gegründet hast,“ sagt der Psalmist. Psalm 119,152.

Durch dieses Gesetz, das Engel regiert und das Reinheit der allergeheimsten Gedanken, Wünsche und Pläne fordert, das „fest für immer und ewig“ (Psalm 111,8) steht, wird am rasch herannahenden 233Tag Gottes die ganze Welt gerichtet. Die Übertreter mögen sich einbilden, daß der Höchste nichts weiß, daß der Allmächtige sich nicht darum kümmert: Er wird ihnen gegenüber nicht immer Nachsicht üben. Bald werden sie den Lohn für ihre Taten erhalten, den Tod, der der Sünde Sold ist. Die Gerechten dagegen, die das Gesetz gehalten haben, werden durch die Perlentore in die himmlische Stadt eingelassen und mit ewigem Leben und ewiger Freude in der Gegenwart Gottes und des Lammes beschenkt.

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