Zeichen der Zeit (The Signs of Times) d. 5. Dezember 1892

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Der göttliche Maßstab

Der göttliche Maßstab

Gottes Gebote sind umfassend und weitreichend. Mit wenigen Worten beschreiben sie, wozu der Mensch verpflichtet ist: „Du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben von ganzem Herzen, von ganzer Seele, von ganzem Gemüt und von allen deinen Kräften ... Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst.“ Markus 12,30.31. Mit diesen wenigen Worten ist alles gesagt, was das Gesetz Gottes fordert. So schreibt denn auch Paulus: „So ist nun die Liebe des Gesetzes Erfüllung.“ Römer 13,10. Die Bibel gibt nur eine einzige Definition der Sünde, nämlich: „Die Sünde ist die Gesetzlosigkeit.“ 1.Johannes 3,4 (EB). Weiter sagt das Wort Gottes: „Sie sind allesamt Sünder und ermangeln des Ruhmes, den sie bei Gott haben sollten.“ Römer 3,23. „Sie sind alle abgewichen und allesamt verdorben. Da ist keiner, der Gutes tut, auch nicht einer.“ Römer 3,12. Viele täuschen sich über ihren eigenen inneren Zustand. Sie sehen nicht ein, daß sie von Natur aus maßlos unaufrichtig und von Grund auf verdorben sind. Sie zimmern sich ihre eigene Gerechtigkeit zusammen und sind zufrieden, wenn sie den menschlichen Maßstäben genügen, die sie an ihren Charakter anlegen. Das aber ist tödlich, denn sie werden scheitern, wenn sie dem göttlichen Maßstab nicht entsprechen. Die Anforderungen Gottes aber kann niemand von sich aus erfüllen.

Wir können uns an unseren Mitmenschen messen, uns mit ihnen vergleichen. Wir können sagen, daß wir mindestens genauso gut sind wie dieser oder jener. Aber das steht gar nicht zur Debatte. Vor dem Gericht Gottes werden wir andere Fragen beantworten müssen: Sind wir den Forderungen des Himmels gerecht geworden? Hat unser Leben dem göttlichen Maßstab 339entsprochen? Haben wir so gelebt, wie der Gott des Himmels es wünscht?

Alle Menschen haben das Gesetz Gottes übertreten. Deshalb sind sie hoffnungslos verloren, denn als Gesetzesübertreter sind sie Feinde Gottes und haben nicht die Kraft, Gutes zu tun. „Denn fleischlich gesinnt sein ist Feindschaft gegen Gott, weil das Fleisch dem Gesetz Gottes nicht untertan ist; denn es vermag‘s auch nicht.“ Römer 8,7. Wenn der Mensch in den Spiegel schaut, den ihm das heilige Gesetz Gottes vorhält, erkennt er sich als Sünder, begreift, daß er böse ist und der gerechten Strafe des Gesetzes ausgeliefert. Doch braucht er nicht in diesem Zustand von Hoffnungslosigkeit und innerer Not zu verharren, in den die Sünde ihn gestürzt hat. Denn der Eine, der Gott gleich war, gab sein Leben auf Golgatha, um den Übertreter vor dem Verderben zu retten. „Also hat Gott die Welt geliebt, daß er seinen eingeborenen Sohn gab, damit alle, die an ihn glauben, nicht verloren werden, sondern das ewige Leben haben.“ Johannes 3,16.

Jesus war der König des Himmels, der geliebte Herr der Engel, die ihm gern jeden Gefallen taten. Er war eins mit Gott, „in des Vaters Schoß“. Johannes 1,18. Dennoch war er nicht damit zufrieden, Gott gleich zu sein, während die Menschheit in Sünde und Elend verloren war. Er stieg von seinem Thron, ließ Krone und Zepter zurück und bekleidete seine Göttlichkeit mit Menschlichkeit. Er erniedrigte sich selbst, bis hin zum Tod am Kreuz, damit der Mensch erhöht werden und mit ihm auf seinem Thron Platz nehmen könne. Er ist uns ein vollkommenes, unendlich großes Opfer, ein mächtiger Erlöser, der alle retten kann, die durch ihn zu Gott kommen. Aus Liebe kommt er, um den Menschen den Vater zu zeigen, sie mit Gott zu versöhnen und sie nach dem Bild ihres Schöpfers völlig neu zu schaffen.

Jesus ist unser Sühnopfer. Wir können uns nicht selbst mit Gott versöhnen. Aber im Glauben können wir die Versöhnung akzeptieren, die er bewirkt hat. „Denn auch Christus hat einmal für die Sünden gelitten, der Gerechte für die Ungerechten, damit er euch zu Gott führte.“ 1.Petrus 3,18. „Ihr wißt, daß ihr 340nicht mit vergänglichem Silber oder Gold erlöst seid, ... sondern mit dem teuren Blut Christi als eines unschuldigen und unbefleckten Lammes.“ 1.Petrus 1,18.19. Mit unendlicher Opferbereitschaft und unbeschreiblichem Leiden ermöglichte er uns die Erlösung. Unbekannt und ohne Ansehen ging er durch die Welt und erniedrigte sich, um dem Menschen zu ewiger Herrlichkeit und unsterblicher Freude im Himmel zu verhelfen. Sein dreißigjähriges Erdenleben war von unvorstellbarem Leid geprägt. Der Weg von der Krippe in Bethlehem zum Kreuz von Golgatha war überschattet von Kummer und Sorge. Der Mann der Schmerzen wußte, was Leid ist. Er hat stärker gelitten, als man es mit menschlichen Worten ausdrücken kann. Er hätte ohne weiteres sagen können: „Schaut doch und seht, ob irgendein Schmerz ist wie mein Schmerz.“ Klagelieder 1,12. Obwohl er die Sünde über alles haßte, nahm er alle Sünden der Welt auf sich. Schuldlos trug er die Strafe, die den Schuldigen gebührte. Unschuldig opferte er sich selbst anstelle des Sünders. Die Schuld jeder Sünde lastete auf dem göttlichen Welterlöser. Jeder böse Gedanke, jedes böse Wort, jede böse Tat der Menschen forderten Vergeltung von ihm, denn er war an ihre Stelle getreten. Obwohl die Schuld, die er trug, nicht seine eigene war, tat sie ihm schrecklich weh. Er, der von keiner Sünde wußte, wurde für uns zur Sünde, damit wir durch ihn vor Gott gerechtfertigt würden.

Freiwillig stellte er sich dem Gericht, damit wir nicht verlorengehen, sondern ewiges Leben haben. Christus sagte: „Darum liebt mich mein Vater, weil ich mein Leben lasse, daß ich‘s wiedernehme. Niemand nimmt es von mir, sondern ich selber lasse es. Ich habe Macht es zu lassen, und habe Macht, es wiederzunehmen.“ Johannes 10,17.18. Kein Mensch auf Erden, kein Engel im Himmel hätte für die Sünde büßen können. Jesus war der einzige, der die aufrührerische Menschheit retten konnte. In ihm vereinigten sich Göttlichkeit und Menschlichkeit. Das machte das Opfer auf Golgatha gültig. Am Kreuz trafen sich Gnade und Wahrheit, küßten sich Gerechtigkeit und Friede.

Wenn der Sünder den sterbenden Erlöser auf Golgatha sieht und die Göttlichkeit des Leidenden erkennt, fragt er sich, warum dieses große Opfer nötig war. Das Kreuz weist ihn auf das heilige Gesetz Gottes hin, das gebrochen worden ist. Christi 341Tod beweist unwiderlegbar, daß das Gesetz unveränderlich und gerecht ist. Im Hinblick auf Christus prophezeite Jesaja, „daß er sein [Gottes] Gesetz herrlich und groß mache“. Jesaja 42,21. Das Gesetz an sich kann den Sünder nicht begnadigen. Es kann ihn nur auf seine Fehler aufmerksam machen, damit er erkennt, wie nötig er den Einen braucht, der ihn retten kann, den Einen, der sein Stellvertreter, seine Sicherheit und seine Gerechtigkeit sein möchte. Jesus gibt dem Sünder, was er braucht, denn er hat die Sünden des Übertreters auf sich genommen. „Er ist um unsrer Missetat willen verwundet und um unsrer Sünde willen zerschlagen. Die Strafe liegt auf ihm, auf daß wir Frieden hätten, und durch seine Wunden sind wir geheilt.“ Jesaja 53,5. Der Herr hätte sich vom Sünder abwenden und ihn für immer vernichten können. Aber er wählte den kostspieligeren Weg. In seiner großen Liebe schenkte er den Hoffnungslosen Hoffnung: Er gab seinen eingeborenen Sohn, damit dieser die Sünden der Welt trage. Und weil diese große Gabe sein ein und alles ist, wird er den Menschen jede Hilfe bieten, die sie brauchen, um das Geschenk der Erlösung anzunehmen und Erben Gottes, Miterben Christi, zu werden.

Christus kam, um der Welt die Liebe Gottes zu erweisen und alle Menschen für sich zu gewinnen. Er sagte: „Wenn ich erhöht werde von der Erde, so will ich alle zu mir ziehen.“ Johannes 12,32. Der erste Schritt zu unserer Rettung ist unsere Antwort auf die werbende Liebe Christi. Gott sendet den Menschen eine Botschaft nach der anderen. Er bittet sie flehentlich zu bereuen, damit er ihnen vergeben und sie freisprechen kann. Sollten sie da keine Reue zeigen? Sollten sie seine Bitten mißachten, seine Gnadenangebote ignorieren, seine Liebe verschmähen? Das würde bedeuten, daß sie sich aller Möglichkeiten berauben, das ewige Leben zu erlangen, denn Gott begnadigt nur reuige Sünder! Seine Liebe und das Wirken seines Heiligen Geistes umwerben die Menschen, um sie zur Reue zu führen. Reue ist ein Geschenk Gottes. Er führt jeden zunächst zur Reue, bevor er ihn begnadigt. Wenn der Mensch zum Glauben an Christus als seinem Erlöser und Stellvertreter gefunden hat und in ehrlicher Reue über die Übertretung des Gesetzes 342zu Gott kommt, wird er wahre Freude erleben. Christus wirbt mit seiner Liebe um die Menschen, damit sie die Freude erleben können, die aus der Vergebung kommt, den Frieden, den Gott schenkt. Geben sie seinem Werben nach und nehmen sie sein Gnadenangebot an, dann werden sie ihn Schritt für Schritt immer besser kennenlernen dürfen. Das ist das ewige Leben.

Christus kam, um dem Sünder die Gerechtigkeit und die Liebe Gottes zu offenbaren. Er wollte sein Volk zur Reue führen und ihnen ihre Sünden vergeben. Wenn der Sünder Jesus am Kreuz von Golgatha sieht, wie er die Schuld des Übertreters auf sich genommen und die Strafe für die Sünde getragen hat, wenn er Gottes Abscheu vor dem Bösen erkennt, die sich im Tod am Kreuz auf schreckliche Weise zeigt, wenn er die Liebe Gottes zu den gefallenen Menschen begreift, dann wird er bereuen, das heilige, gerechte und gute Gesetz Gottes übertreten zu haben Er wird an Christus glauben, weil der göttliche Retter sein Stellvertreter, seine Sicherheit und sein Fürsprecher geworden ist. Sein ganzes Leben wird sich nur noch um ihn drehen. Dem reuigen Sünder kann Gott seine Gnade und Wahrheit zeigen, seine Vergebung und Liebe schenken.

Aber Satan wird alles daran setzen, um zu verhindern, daß auch nur ein Mensch der Knechtschaft der Sünde entkommt. Obwohl Gott alles für die Menschen gegeben und getan hat als Gott seinen Sohn gab, gab er das Wertvollste, das der Himmel besitzt, und stellte uns alle Schätze des Himmels zur Verfügung —, versucht der Feind dem reumütigen Sünder einzureden, Gott sei hart, unerbittlich und nicht bereit, ihm zu vergeben. Immer wieder erhalte ich Briefe von Menschen, die an ihren Sünden verzweifeln. So schreiben manche: „Ich fürchte, daß mir nicht mehr zu helfen ist. Gibt es noch Hoffnung für mich?“ Diesen verzweifelten Menschen habe ich geantwortet: „Hoffe auf Gott. Der Vater hat Lebensbrot für jeden. Steh auf, geh zu deinem Vater. Er wird dir weit entgegengehen und dir all seine Liebe und sein Mitgefühl schenken.“

Wenn der Feind wie eine Sturmflut über dich hereinbricht und dich überwältigen will, indem er dich an deine Sünden erinnert, dann sage ihm: „Ich weiß, daß ich ein Sünder bin. Wenn ich es nicht wäre, könnte ich nicht zu meinem Erlöser kommen, der mir sagt: Ich bin gekommen, die Sünder zu rufen 343und nicht die Gerechten“. Markus 2,17. Gerade weil ich ein Sünder bin, kann ich zu Christus kommen. Ich bin sündig und verdorben, aber er nahm Erniedrigung und Tod auf sich und löste so den Fluch, der auf mir lag. Ich komme zu ihm und glaube. Ich nehme sein Versprechen für mich in Anspruch, daß alle, die zu ihm kommen, „nicht verloren werden, sondern das ewige Leben haben.“ Johannes 3,16.

Wird eine solche reuige Bitte jemals zurückgewiesen werden? Nein, niemals! Das Leid und der Tod Christi sind ein Beweis für seine grenzenlose Liebe zum Menschen. Christus will und kann jeden retten, der durch ihn zu Gott kommt.

Kommt wie kleine Kinder zu Gott. Tretet bittend vor ihn hin. Wir brauchen nicht in den Himmel zu steigen, um Jesus zu uns herabzuholen. Wir brauchen nicht in den Tiefen der Erde nach ihm zu suchen, um ihn zu uns heraufzuholen. Er ist immer bei uns. Er sagt: „Siehe, ich stehe vor der Tür und klopfe an. Wenn jemand meine Stimme hören wird und die Tür auftun, zu dem werde ich hineingehen und das Abendmahl mit ihm halten und er mit mir.“ Offenbarung 3,20. Wie gern will Jesus von uns Besitz ergreifen, wenn wir ihn nur lassen! Uns wird gezeigt, daß er an unsere Tür klopft und wartet. Warum kommt er nicht einfach herein? Weil die Liebe zur Sünde die Tür verbarrikadiert. Sobald wir uns entschließen, die Sünde aufzugeben und unsere Schuld einzusehen, wird die trennende Barrikade zwischen uns und unserem Erlöser niedergerissen.

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